Mosebach las ein Buch auf der schiefen Bank unter einem schiefen Kastanienbaum. Rüdiger B. spazierte in gemächli- chem Schritt. Ein junges Paar schob schweigend einen Kinderwagen bergab. Die alte Frau Schmidt ahnte nichts. Ein pubertierender, langnasiger Junge warf einen Stein nach einem Vogel. Das junge Paar rief „Hey, hey!“ Mosebach schaute ruckartig auf, verlor seine Brille. Dragan, der Koch, nahm den Jungen beim Schlafittchen. Frau Schmidt stellte Dragan, dem Koch, ein Bein. Der fiel zu Boden. Der Junge mit der langen Nase sprang in die Luft, klatschte in die Hände. Das Paar mit dem Kinderwagen ebenfalls kurz. „Nicht schlecht, nicht schlecht!“ riefen die beiden. Mosebach befand sich auf allen Vieren, suchte seine Brille. Rüdiger B. gab ihm einen Schlag in den Nacken. „Hat noch nie jemandem geschadet!“ Da sprang Dragan, der Koch, auf und nahm Rüdiger B. in den Schwitzkasten. Das junge Paar rief „Hey, hey, hey!“ Das Kind im Wagen begann zu plärren. Der Pubertierende tanzte um den Wagen. „Heul doch, heul doch! Lalalalalaaaa!!!“ Da pfefferte ihm Frau Schmidt ihre Handtasche in die Kniekehlen. Er ging ebenfalls zu Boden. „Hey, hey, hey, hey!“ und „Jetzt ist aber gut!“ rief das Paar. Rüdiger B. befreite sich aus dem Schwitzkasten und schnappte sich Mosebach. Der fuchtelte blind mit den Armen und hatte jetzt den Langnasigen im Griff. Dragan, der Koch, nun wieder Rüdiger B. Die alte Frau Schmidt gab Mosebach, Rüdiger B., Dragan, dem Koch und diesem Langnasigen kichernd Tritte in die Hintern. Das junge Paar eilte herbei und versuchte Mosebach, Rüdiger B., Dragan, den Koch, diesen Langnasigen und Frau Schmidt voneinander zu trennen. Der Kinderwagen geriet ins Rollen. Eine Kastanie fiel Frau Schmidt auf den Kopf. So begann ein Nachmittag im Park.
Daniil Charms (1905–1942) war ein russischer Schriftsteller und Dichter, Avantgardist, Großmeister des absurden Prosaminiatur, die gespickt ist mit Nonsens, Groteskem, kaffkaesken Bedro- hungen, irrwitzigen Zufällen, mit schwarzem Humor und bitterem Ernst gleichermaßen. Er wurde mehrmalig verhaftet, einmal für Jahre verbannt, saß in Gefängnissen ein. Er passte der Sowjetunion nicht in den Kram, wurde für geisteskrank erklärt und starb in einer gefängnis psychiatrischen Anstalt vermutlich an Unterernährung. Von seinem literarischen Werk konnte erst posthum vieles veröffentlicht werden. Heute gilt er als Klassiker der russischen Avantgarde.
„Mich interessiert nur der ‚Quatsch‘, was keinerlei praktischen Sinn hat. Mich interessiert das Leben nur in seiner unsinnigen Erscheinung.“ Daniil Charms
In meiner Hommage an Daniil Charms hatte ich seinen Kurzprosatext „Anfang eines sehr schönen Sommertages/ Symphonie“ im Hinterkopf: Eine Situation, in der sich Menschen zufällig auf der Straße treffen, eskaliert zusehends. Es geht drunter und drüber. Nachdem ich meinen Text fertig hatte, habe ich überlegt, wie er noch absurder werden könnte. Mir erschein alles noch zu sehr geplant. Also habe ich mir einen kleinen Zufallsgenerator gebastelt, Satzbestandteile immer wieder durcheinander würfeln lassen, neue Sätze aus dem gebildet, was jeweils vor meinem Auge erschien, dann das ein und andere semantisch und grammatikalisch geradegebogen. Übrig geblieben sind nur wenige Satzfragmente, die ich nicht unterbekommen habe. Ansonsten ist in der neuen Geschichte alles drin – nur anders – und ich finde sie besser. Die künstliche Intelligenz konnte mir dabei übrigens nicht helfen. Habe ihr vier Versuche gegeben. Herausgekommen ist nichts Verwertbares im Sinne von Charms. Eigentlich überhaupt nichts Verwertbares. Die KI „denkt“ zu normal. Andere Geschichte.
Nun wieder Schwitzkasten
Zufalls-Collage von Symphonie im Park
Ein Nachmittag befand sich auf allen Vieren. Eine Handtasche begann zu plärren. Im Park schaute eine Kastanie in einen Kinderwagen und stellte Dragan, dem Koch, ein Bein. „Hey, hey!“, die alte Frau Schmidt sprang in die Luft, verlor ihre Brille und schnappte sich blind fuchtelnd Mosebach. Der ahnte nichts, geriet ins Rollen. „Hat noch nie jemandem geschadet!“ riefen Dragan, der Koch, und der schiefe Kastanienbaum. Frau Schmidt klatschte in die Hände. Das Kind im Wagen rief „Hey, hey, hey!“, las ein Buch und tanzte mit den Armen. Ein pubertierender, langnasiger Junge nahm Rüdiger B. ruckartig in den Schwitzkasten. Der rief „Mosebach, Mosebach!“ Da sprang Dragan, der Koch, auf und fiel vor dem jungen Paar mit dem Kinderwagen wieder zu Boden. Das junge Paar rief „Hey, hey, hey, hey! Jetzt ist aber gut!“ und warf einen Stein nach einem Vogel. Die alte Frau Schmidt suchte ihre Brille, schob Mosebach, Rüdiger B., Dragan, den Koch, und diesen Langnasigen in gemächlichem Schritt bergab. Dragan, der Koch, rief „Pfeffer!“ Da spazierte ihm der Boden auf den Kopf. Mosebach rief „Junge mit der langen Nase! Lalalalalaaaa!!!“, befreite sich aus dem Griff und nahm Rüdiger B. beim Schlafittchen. Der hatte jetzt einen schiefen Nacken. „Nicht schlecht, nicht schlecht!“ Das junge Paar ging kurz um den Kinderwagen, Frau Schmidt versuchte es ebenfalls. Dragan, der Koch, noch auf seinem Hintern, wusste ein „Heul doch!“ von einem „Heul doch!“ zu trennen. Mit einem Schlag saßen Mosebach, Rüdiger B., Dragan, der Koch, der langnasige Pubertierende, Frau Schmidt und das junge Paar schweigend auf einer Bank im Park und kicherten. So endete eine Symphony mit Wagen.
– md