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Opt-out of Trickkiste

18. Juli 2019

Opt-out heißt – frei übersetzt – aussteigen, aufhören, abbrechen.

Wir nutzen unsere Option, um Schluss zu machen, womit auch immer. Allein die Möglichkeit eines Exit-Szenarios vermittelt das Gefühl von Handlungsfreiheit. Denn wir haben die Wahl.

Ist das wirklich so? Opt-out ist eine Widerspruchsbekundung, wogegen Opt-in Zustimmung bedeutet. Der Unterschied besteht im unterschiedlichen Setzen des jeweiligen Standards: Ein Zustand wird per default als akzeptiert vorausgesetzt, bis die betreffende Person aktiv widerspricht. Die zu erwartenden Resultate werden dadurch signifikant verschoben: So gilt in Deutschland für Organspenden eine ausdrückliche Opt-in Regelung, der Anteil von Menschen mit Organspenderausweisen liegt dadurch bei ca. 12 %. In Österreich (und vielen weiteren europäischen Ländern) gilt Opt-out: Jeder ist erst mal automatisch Organspender, bis er/sie aktiv per Opt-out widerspricht. Hier liegt der Anteil an potentiellen Spendern bei über 99 %. Allein die Ausgangssituation bestimmt also wesentlich das Ergebnis: der Default-Effekt. Die Geschichte mit der Opt-out-Organspende ist ein berühmtes Beispiel für einen »Nudge«, einen kleinen Anstoß, eine winzige Änderung der Ausgangsbedingung, der die gleiche Sache plötzlich in anderem Licht erscheinen lässt, und damit die Entscheidung beeinflusst. Dahinter steht die Vorstellung, dass Menschen durchaus nicht immer die rational eindeutigen Entscheidungen treffen, die dem Homo oeconomicus nachgesagt wurden. Sondern, dass es eine Reihe von kognitiven Verzerrungen (cognitiv bias) gibt, die die Entscheidungsprozesse beeinflussen:

  • Verfügbarkeitsheuristik: leicht verfügbare Beispiele werden als relevanter angesehen
  • Ankerheuristik: zuerst angebotene Informationen werden als relevanter angesehen
  • Repräsentativitätsheuristik: genaue Beschreibungen und vermutete Muster werden als wahrscheinlicher betrachtet
  • Verlustaversion: unterschiedliche Bewertung der gleichen Sache, abhängig vom Blickwinkel Gewinn/Verlust
  • Tendenz zum Status quo: Überbewertung des Faktischen gegenüber möglichen Alternativen
  • Framing-Effekt: unterschiedliche Bewertung der gleichen Sache, abhängig vom Kontext
  • Selbstüberschätzung: unrealistische Erfolgserwartungen

Nudges

»Nudges« sind stets kleinste Designänderungen, die dafür sorgen, dass die gleiche Sache anders gesehen und gehandhabt wird. Sie kommen ohne ökonomische Vorteile, Verbote oder Gebote aus, gerade das macht sie so kraftvoll. Am Ende meint man, es sei die eigene Entscheidung gewesen. Merkwürdigerweise wird »Nudging« fast immer im Zusammenhang mit wünschenswerten Verhaltensweisen genannt: So etwa die Schulcafeteria, die Obst in Augenhöhe präsentiert und damit den Umsatz und Konsum gesunder Nahrungsmittel steigert. Aber natürlich wirkt das Prinzip auch bei Marketing, Werbung und PR. Unternehmen haben schon immer munter alle Register gezogen, um Kunden einen kleinen Schubs zu geben. Damit sie kaufen. Oder um den Opt-out zu verhindern, beispielsweise bei Abonnements: Diese abzuschließen ist einfach und komfortabel; sie zu kündigen mitunter problematisch, denn nicht im Sinne der Companies. Und so nutzen diese miese kleine Tricks wie:

  • Unsubscribe-Funktion wird versteckt, ist schwierig zu finden
  • Unsubscribe-Funktion nur nach Login
  • Pflicht-Formulare, häufig unnötig lang und/oder mit verwirrenden Optionen und Checkboxen
  • Umleitung auf Seiten ohne erkennbare Unsubscribe-Funktion
  • Kündigung nur schriftlich per Post möglich
  • Kündigung nur telefonisch möglich
  • Angebot von immer neuen Optionen und Vergünstigungen bei Fortbestand des Abos

Warum setzen viele Unternehmen auf solche Praktiken, um Kündigern das Leben schwer zu machen? Man vertraut der Statistik: Je schwieriger der Opt-out ist, umso mehr Menschen werden auf dem Weg dorthin aufgeben oder scheitern. Was in dieser Rechnung nicht berücksichtigt wird, ist der Vertrauensverlust und der damit zusammenhängende Imageschaden. Herrgott, diese Menschen wollen gehen, sie werden Gründe haben, lasst sie ziehen. Was nützt es der Marke, wenn durch psychologische Tricks Kunden gehalten werden? Wenn Kunden wütend hinterher geschrien wird? Liebe Marken, seid entspannt und erwachsen, tragt es mit Fassung und Resilienz. Ohne Beißreflex und manchmal sogar mit Humor. Macht coole Produkte, guten Service und ehrliche Kommunikation. Der Konflikt von Kundenbedürfnissen einerseits und Unternehmenszielen andererseits tritt zuweilen offen zutage. In diesen Momenten sieht man schmerzhaft, dass Marken und Kunden so widersprüchliche Vorstellungen, Werte und Ziele haben, dass es einfach nicht zusammen passt.

Es verwundert nicht, dass sich Kunden dann abwenden und zum letzten Mittel greifen, dem Opt-out. Zugegeben – Marketing ist für Sales und Kommunikation verantwortlich, nicht für Produktentwicklung. Sie haben die Aufgabe, ihr Produkt im besten Licht zu präsentieren. Aber das Mind-Set des Manipulierens, Tricksens und dem Versuch einer Abkürzung zum schnellen Kunden via Nudge, Data, SEO oder Zauberei ist auf lange Sicht nicht förderlich. Kundenkommunikation – wenn sie funktionieren soll – ist und bleibt aufwändige Handarbeit und lässt sich nicht industrialisieren. Aber gleichzeitig ist sie ein wesentliches Unterscheidungskriterium in einer Welt austauschbarer Produkte und Services. Die Chance sollten sich Marken nicht entgehen lassen.

Quellen:

Abb.: Twitter; @HumansOfLateCapitalism

Richard H. Thaler: »The Power of Nudges, for Good and Bad«; The New York Times; Oct. 31, 2015

Dominik Düber: »Überzeugen, Stupsen, Zwingen – Die Konzeption von Nudge und Libertärem Paternalismus und ihr Verhältnis zu anderen Formen der Verhaltenssteuerung« Zeitschrift für Praktische Philosophie, Band 3, Heft 1, 2016, S. 437–486; www.praktische-philosophie.org

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